Wie ihr den Beziehungsalltag zu eurem Verbündeten macht

Früher oder später passiert es den meisten Paaren - der Beziehungsalltag holt uns ein und stellt die Beziehung auf eine Probe. Was ihr in solchen Situationen tun könnt.

In der einen Beziehung passiert es nach drei Monaten, in der anderen nach fünf Jahren – irgendwann erleben die meisten von uns die Situation. Euer Beziehungsalltag hat sich eingespielt, ihr geht beide eurer Arbeit nach und Zeit zu zweit findet ihr immer seltener. Du beginnst, dich zu fragen, ob da draußen vielleicht noch jemand besseres wartet. Und wo sind eigentlich die Gefühle von früher hin?

Für rund die Hälfte aller Deutschen ist ein zu routinierter Beziehungsalltag ein Trennungsgrund. Ein Drittel der Teilnehmenden einer Studie von ElitePartner aus 2020 gab wiederum an, bei Eintönigkeit und Langeweile einen Seitensprung in Betracht zu ziehen.

Wenn das Kribbeln ausbleibt

Der Beziehungsalltag und der Mangel an gemeinsamen neuen Erfahrungen gehören zu den größten Herausforderungen für die Liebe. Obwohl uns meistens bewusst ist, dass uns genau diese Aufregung in der Beziehung fehlt, reden wir selten darüber. 

Kein Wunder: In Liebesfilmen und -romanen hören wir immer wieder von diesem aufregenden Kribbeln, das andeutet, wir hätten unseren Seelenpartner oder -partnerin gefunden. Fehlt dieses Gefühl, glauben wir, dass etwas mit unserer Beziehung nicht stimmt. Dabei ist das Nicht-Aussprechen, das fehlende Vertrauen, das eigentliche Problem. Phasen, in denen wir uns miteinander langweilen und uns nach neuen Bekanntschaften sehnen, sind im Beziehungsalltag nahezu unvermeidlich. Miteinander zu reden ist hingegen eine Entscheidung.

Foto: Sofie Woldrich

Es gibt viele Paare, die regelmäßig Sex mit anderen haben, und deren Beziehung nicht darunter leidet oder dadurch sogar gestärkt wird. Wichtig ist hierbei, ehrlich mit der unvermeidlich auftauchenden Eifersucht umzugehen (wir lernen ein Leben lang, dass Paarbeziehungen aus zwei Menschen bestehen und wir ansonsten ersetzt würden). Außerdem würde ich niemandem raten, eine Beziehung aufgrund von Langeweile oder Unzufriedenheit zu öffnen. Stattdessen sollte so eine Entscheidung auf Selbstreflexion und der aktiven Beziehungsgestaltung basieren. 

Es gibt andere Lösungen für das Problem Eintönigkeit im Beziehungsalltag.

Das „Hängebrücken Experiment" - Spannung gleich Liebe?

Wie wichtig gemeinsame neue Erfahrungen sind, macht ein Experiment der beiden amerikanischen Psychologen Donald Dutton und Art Aron klar. Sie veröffentlichten 1974 ihr „Hängebrücken Experiment“. Das Experiment wurde über dem Capilano Canyon in North Vancouver auf zwei unterschiedlichen Brücken durchgeführt, wovon die eine, richtig, eine Hängebrücke war. Bei der anderen handelte es sich um eine deutlich weniger abenteuerliche Stahlbrücke. In beiden Szenarien wurden vorbeilaufende Männer von einer attraktiven Frau für einen Fragebogen angesprochen. Nachdem die Männer den Bogen ausgefüllt hatten, gab die Frau den Männern zu Rückfragen ihre Telefonnummer. Von den Männern, die auf der Hängebrücke angesprochen worden waren, meldeten sich viermal so viele zurück. 

Foto von Michael Heuser auf Unsplash

Zwar wurde das Experiment lediglich mit einer kleinen, nur bedingt repräsentativen Stichprobe durchgeführt, doch in anderen Situationen lässt sich Ähnliches beobachten. Gerade die erste Verliebtheitsphase ist geprägt von zahlreichen gemeinsamen neuen Erfahrungen, Abenteuerlichkeit und Unsicherheit.

Nun nehmen die neuen Erfahrungen mit der Zeit ab und auf die Unsicherheit verzichten wir freiwillig. Wie also schaffen wir es, den Alltag in unsere Beziehung zu integrieren?

Den Beziehungsalltag spielerisch meistern

Die Antwort laut zahlreicher Psycholog:innen: Spielen. Ja, ernsthaft. Sehr ernsthaft sogar. Ich kann das aus eigener Erfahrung bestätigen. Um diese Antwort zu verstehen, gucken wir uns einmal an, was genau Spielen bedeutet. Unter Spielen wird eine Tätigkeit verstanden, die ohne bewussten Zweck zum Vergnügen, zur Entspannung, aus Freude an ihr selbst und an ihrem Resultat ausgeübt wird. Folgende Kriterien können dabei berücksichtigt werden:

Vielleicht hast du schon mal von dem Begriff „Flow“ gehört. Dieser ähnelt dem Spiel in vielerlei Kriterien. So ist auch diese Tätigkeit intrinsisch motiviert, die Schwierigkeit befindet sich auf einem angenehmen Level, Zeit und Raum werden ausgeblendet.

Vom Start-Up zum Beinahe-Break-Up

In den Bereich des Spielens und Flows fällt auch die Tätigkeit des kreativen Schaffens. Mit meinem Partner habe ich schon lange bevor wir zusammengekommen sind, regelmäßig verrückte Ideen gesponnen, Kunstprojekte umgesetzt oder Geschichten erfunden. Einige der Ideen hatten definitiv Startup-Potenzial. 

Irgendwann war es soweit: Wir versuchten zum ersten Mal, ein kleines Unternehmen zu gründen. Rechts seht ihr Original-Footage aus dieser Zeit. Wir waren damals ein halbes Jahr zusammen, ich hatte einige kleinere Projekte unabhängig von ihm realisiert und kannte mich mit Gründung, Branding und Marketing bestens aus – zumindest in der Theorie. Bestärkt wurde ich in meinem Ehrgeiz durch Podcast-Zitate wie „Es gibt keinen Plan B, setze alles auf dein Business.“

 

Jedenfalls begeistere ich mich sehr schnell für Ideen und stecke in der Anfangsphase oft all meine Energie in die Umsetzung. Und damit meine ich: All meine Energie. Für unsere Beziehung, die Momente, die uns jenseits des Projekts verbanden, sowie für mich selbst, blieb davon nichts übrig. Hinzu kam, dass mein Ehrgeiz eine ungesunde Richtung annahm. Alles musste perfekt sein, am besten sofort. Nichts war gut genug, Pausen nahm ich mir selten.

Es wird dich wenig überraschen, zu hören, dass das Projekt scheiterte. Die Kreativität, das Spiel, das meinen Partner und mich so verband, hatte hier keinen Raum mehr. 

Ich bin froh, dass wir dies rechtzeitig bemerkt und das Projekt, nicht unsere Beziehung, beendet haben. Daraus gelernt haben wir, wie wichtig diese verspielten, albernen, kreativen Momente für uns sind.

Lass uns tanzen!

In einer späteren herausfordernden Phase, als wir, wie so oft zu jener Zeit, einen Streit ausführten, hielt ich plötzlich inne. Alles, was wir zuvor gesagt hatten, geriet in den Hintergrund. Tränenerstickt stieß ich hervor: „Wir haben aufgehört, zu tanzen.“ Auch er hielt inne und dachte über das Gesagte nach. 

Wir hatten uns die Monate zuvor so sehr darauf versteift, dass die Beziehung um jeden Preis funktionieren müsse, dass wir auch hier vergessen hatten, dem Neuen, der Freiheit und manchmal eben auch der Unsicherheit Raum einzugestehen. Noch am selben Abend tanzten wir zaghaft das erste Mal seit Monaten wieder miteinander.

Foto: Sofie Woldrich

Eine gemeinsame Basis für den Beziehungsalltag

Wie du merkst, hat „Spiel“ viele verschiedene Formen. Es kann im Tanzen, im Kartenspielen, im Wettrennen, aber auch im spielerischen Putzen zu guter Musik, in einer Unterhaltung mit Fremden in der Bahn oder im Erkunden des nahen Waldstücks liegen.

Spiel ist nicht das Gegenteil von Alltag. Es kann ein Teil des Alltags sein.

Es geht darum, gemeinsam herauszufinden, wie sich das Spiel in den Beziehungsalltag integrieren lässt. Im Großen, wie im Kleinen. 

Foto: Sofie Woldrich

Dabei müssen die Dinge, die uns Spaß machen, nicht die selben sein, wie die unseres Partners oder unserer Partnerin. Ein Teil der Aufgabe, um mehr miteinander zu spielen, besteht darin, Unterschiede und Ähnlichkeiten herauszufinden. Und daraus eine gemeinsame Basis aufzubauen. Wir müssen nicht jedes Hobby miteinander teilen, im Gegenteil. Es ist mehr als gesund, immer wieder auch Dinge alleine zu erleben. Und wenn der eine einfach absolut nicht auf Klettern steht, tut es keinem von beiden gut, es der Beziehung zuliebe trotzdem zu machen. Vielleicht aber können sich beide darauf einigen, regelmäßig wandern zu gehen.

Ein Gesprächsthema für heute und allezeit

Eine Tätigkeit, die meinen Partner und mich sehr verbindet, ist zum Beispiel, gemeinsam Geschichten zu schreiben. Ich kenne kaum eine andere Übung, die uns so auf den Beziehungsalltag vorbereitet und zugleich so viel Spaß macht. Durch das abwechselnde Schreiben an einer Geschichte lernen wir nicht nur, tolerant mit der Andersartigkeit unserer Lieben umzugehen, sondern im Zweifelsfall auch Kritik zu äußern. Wir unterhalten uns beim Schreiben so viel über unsere Werte, Einstellungen und Träume, wie bei kaum einer anderen Tätigkeit. Und haben immer ein Gesprächsthema.

Bei der Suche nach eurer gemeinsamen Basis können euch folgende Fragen aus dem Buch „8 Gespräche, die jedes Paar führen sollte“ helfen:

Wir beide haben im Laufe der Zeit einige Aktivitäten gefunden, die uns als Paar Freude machen und sich einfach in den Beziehungsalltag integrieren lassen. 

Foto von Soroush Karimi auf Unsplash

 

So lieben wir es, gemeinsam im Auto zu singen. Wann immer wir in einem matschigen See baden, tauchen wir als Matschmonster wieder auf. Am Wochenende gehen wir manchmal in die Bibliothek und leihen uns Gesellschaftsspiele aus, die wir anschließend ausprobieren. Was sind deine Ideen? Habt ihr gemeinsame Hobbies, etwas worüber ihr schon oft geredet, aber noch nie ausprobiert habt, oder besondere Erinnerungen, die ihr teilt?

Das Abenteuer „Beziehungsalltag“

Natürlich wird es immer wieder Phasen geben, in denen eure Beziehung in den Hintergrund gerät und ihr keine Zeit findet für all die Abenteuer, die ihr gemeinsam erleben könnt. Unsere kapitalistische Gesellschaft ist geprägt von Stress, Konkurrenzdruck und Zeitmangel. Wenn ihr in so eine Phase geratet, macht euch bitte keine Vorwürfe. Das entfernt euch nur noch weiter voneinander.

Stattdessen könnt ihr versuchen, eure Gefühle und Beobachtungen ehrlich und gewaltfrei auszusprechen. Gemeinsam könnt ihr nach Mini-Abenteuern suchen, die ihr in euren Beziehungsalltag integrieren könnt. Wenn ihr es schafft, eure Bedürfnisse offen zu kommunizieren, seid ihr den wichtigsten Schritt bereits gegangen. Eine Beziehung ist selbst ein Abenteuer und wie in jedem Abenteuer gibt es schöne und schwierige Etappen. Worauf es ankommt, ist, wie weit ihr bereit seid, an der Beziehung und euch selbst zu arbeiten. Nein, einfach ist es nicht. Aber ihr habt damit die Dinge ein Stück weit in der Hand.

Quellen:

Gottman, John M: 8 Gespräche, die jedes Paar führen sollte …: … damit die Liebe lebendig bleibt | Der Bestsellerautor zeigt die richtigen Gespräche in der Partnerschaft, die unsere Beziehung positiv verändern und stärken., Ullstein Buchverlage, 31.03.2022.

Kabitzsch, Pia: It’s a date!: Tindern, Ghosting, große Gefühle. Was die Psychologie über Dating weiß, Rowohlt Verlag GmbH, 12.04.2022.

Philognosie GbR: Pädagogik Ausarbeitung: Die Bedeutung des Spielens – Philognosie, in: Philognosie, 05.04.2017, [online] https://www.philognosie.net/denken-lernen/paedagogik-ausarbeitung-die-bedeutung-des-spielens (abgerufen am 19.03.2023).

Statista: Gründe für Untreue in der Partnerschaft nach Geschlecht 2020, in: Statista, 14.09.2022a, [online] https://de.statista.com/statistik/daten/studie/1174802/umfrage/gruende-fuer-untreue-in-der-partnerschaft-nach-geschlecht/?locale=de (abgerufen am 19.03.2023).

Statista: Umfrage unter Männern und Frauen zu Trennungsgründen in festen Beziehungen 2013, in: Statista, 08.11.2022b, [online] https://de.statista.com/statistik/daten/studie/291292/umfrage/umfrage-unter-maennern-und-frauen-zu-trennungsgruenden-in-festen-beziehungen/?locale=de (abgerufen am 19.03.2023).

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