Zwei Wohnungen, eine Beziehung.
Wer kennt sie nicht, die Zeitschriftenartikel über die wirklich relevanten Fragen einer Beziehung: Wann sollte man auf eine Nachricht antworten (keinesfalls sofort), wann sollte man das erste Mal miteinander schlafen (frühestens nach dem dritten Date), wann sollte man das Thema Beziehung ansprechen (ähm… am besten gar nicht, #situationshipgoals).
Jene Frage, die jedoch am allermeisten Menschen zu interessieren scheint, wenn es um Fristen in der Liebe geht, ist: Wann zieht man zusammen?
Zumindest gilt dies für Suchanfragen im Web. Hier folgt auf die Suchbegriff-Kombination „Beziehung“ und „Wann“ am häufigsten die Frage nach dem Zusammenziehen. Noch vor der Frage nach dem ersten „Ich liebe dich“.
Nach fast drei Jahren wohne ich nun noch immer nicht mit meinem Freund zusammen. Wenig überraschend, reagieren viele Menschen mit Unverständnis.
Mein Lieblingsbeispiel, das wirklich genauso ablief, ist folgender Dialog:
- „Ich wohne allein.“
- „Also alleine mit deinem Freund, keiner WG, oder wie meinst du?“
- „Nein, alleine. Ich habe eine Wohnung und er hat eine Wohnung.“
- „Was? Warum das?“
- „Weil wir das so wollen.“
- „Ist alles ok mit euch? Schlägt er dich?“
- „Nein, wie kommst du denn darauf?“
- „Aber… Wie ernst ist das mit euch dann überhaupt?“
Das hier ist natürlich ein Extrembeispiel, doch insbesondere die letzte Frage höre ich immer wieder. Und nun stelle ich die Frage:
Warum scheint das mit dem Zusammenwohnen überhaupt so ein Riesen-Thema zu sein?
“Und sie wohnten glücklich zusammen, bis ans Ende aller Tage…”
Zugegeben, eine Beziehung zu verlassen wird deutlich schwieriger, wenn man sich eine Wohnung, ein Konto und vielleicht sogar ein Haustier teilt. Insofern bringt das Zusammenziehen eine gewisse Verbindlichkeit in eine Beziehung. Für viele ist es der Vorschritt zur Ehe. Und die ist ja wohl das Ziel jeder Beziehung, oder?
Was wir erwarten, wenn wir von wahrer Liebe träumen, ist meistens: Man verliebt sich, kommt zusammen, zieht in eine gemeinsame Wohnung, kauft irgendwann ein Haus, heiratet, bekommt Kinder und ist glücklich bis ans Ende aller Tage.
Die Idee hinter dieser Vorstellung ist jedoch ein heteronormatives Konzept. Also ein Konzept, das die Vorstellung beinhaltet, die einzig richtige Liebe könne nur zwischen einem Mann und einer Frau bestehen, nicht mehreren, nicht Frau und Frau, nicht Mann und Mann, nicht Non-Binär und wie auch immer sich jemand selbst betrachtet…
Es sollte inzwischen klar sein, dass dies nicht der Realität entspricht. Liebe ebenso wie Geschlechter können unglaublich vielfältig sein.
Warum die Ehe nicht ganz so romantisch ist, wie gedacht
Seit dem Mittelalter bis vor wenigen Jahrhunderten (wenn nicht Jahrzehnten) war die Ehe eine Art „Handelsabkommen“ zwischen dem Vater und dem zukünftigen Ehemann der Braut. Der Vater übergab die Frau dem Ehegatten und erhielt dafür Ware oder Geld.
Ja, mir tat es auch weh, als ich die Vorstellung von der weißen Hochzeit plötzlich für nicht mehr ganz so romantisch hielt.
Natürlich hat sich die Bedeutung der Ehe seither stark verändert. Ich finde es jedoch wichtig, sich diese Hintergründe bewusst zu machen. Davon ausgehend, dass Frauen also bei einer Eheschließung lange Zeit nicht viel zu sagen hatten, stellt sich die Frage, wie das beim Zusammenleben aussieht. Um zum Anfangsbeispiel zurückzukommen, finde ich folgende Suchmaschinenvorschläge noch erschreckender.
Google-Suche
Ok, jetzt einmal tief durchatmen. Ich möchte dir hier keineswegs einreden, dass du nicht mit deinem Partner oder deiner Partnerin zusammenziehen kannst oder es als negativ betiteln, wenn ihr vielleicht sogar schon zusammen wohnt. Es gibt unfassbar viele, wunderbare Gründe, warum man dies tun sollte. Ich möchte lediglich klar machen, dass es auch andere Lebensformen gibt. Lebensformen, die nicht unbedingt schlechter sind, nur weil sie ungewohnt sind.
Living Apart Together - Ein Beziehungskonzept
Tatsächlich entscheiden sich immer mehr Menschen dazu, getrennt zu wohnen. Es gibt sogar einen eigenen Namen dafür.
„Living Apart Together“ beschreibt ein Konzept, in welchem die Partner:innen zwar in einer offiziellen Beziehung sind, jedoch nicht zusammen wohnen. Der Begriff, kurz „LAT“, wurde bereits 1980 von der niederländischen Autorin Cees J. Straver eingeführt und bezeichnet eine selbst gewählte Form der Partnerschaft.
Warum Living Apart Together insbesondere Frauen anspricht
Es sind insbesondere Frauen, die das Alleinwohnen immer mehr bevorzugen. Viele Frauen erleben momentan eine Zeit der Befreiung. Wir lernen, dass wir gar keinen Mann brauchen, sondern uns um uns selbst kümmern können. Wir lernen, dass wir vollständig sind, ohne einen Mann an unserer Seite. Wir lernen, dass wir unser eigenes Geld verdienen können, dass Freundinnen unser Leben ebenso bereichern, dass wir sogar die Glühbirne selber wechseln können. Wahnsinn, dieser Feminismus…
Wie sieht das bei den Männern aus? Sind die nun durch unseren Sinneswandel total aufgeschmissen oder gibt’s auch für sie Vorteile?
Natürlich findet auch bei Männern ein Wandel statt. Auch hier erkennen immer mehr Männer, dass sie das klassische Familienmodell nicht leben wollen. Dass sie sich in der Rolle des „Versorgers“ nicht wohlfühlen, gerne Zeit mit den Kindern verbringen und eine Beziehung auf Augenhöhe führen wollen.
Dennoch: Zumindest in Partnerschaft und Ehe ziehen Frauen nach wie vor den Kürzeren.
Die Fakten, bitte
In einer heterosexuellen Partnerschaft mit Kindern gaben über 60% der befragten Frauen an, dass sie sich um die Versorgung überwiegend alleine kümmerten. Bei der Ordnung waren es sogar rund 70% (ElitePartner, 2022). Hinzu kommt, dass Frauen in einer Beziehung häufiger Zeit für sich brauchen.
Einige Menschen haben auch einfach keine Lust, von ihren Freund:innen oder ihrer Familie wegzuziehen und entscheiden sich daher für das LAT-Modell. Bezieht man sich nicht ausschließlich auf Singles in der Umgebung, steigt zudem die Anzahl potenzieller Partner:innen. Und aus eigener Erfahrung kann ich zahlreiche weitere Vorteile aufzählen.
Putzplan? Läuft.
Seit ich alleine lebe, ist meine Wohnung immer top aufgeräumt. Nicht, weil mein Freund so unordentlich wäre, sondern weil ich die Möglichkeit habe, meine Art von Ordnung zu entwickeln. Herauszufinden, was mir eigentlich wichtig ist im Haushalt und wann ich am besten welche Dinge erledigen kann, vereinfacht es, diesen regelmäßig nachzugehen. Unter anderem habe ich eine Putzroutine entwickelt, weshalb meine Wohnung nun immer sauber ist. Ich konnte das rosa geblümte Geschirr kaufen, die Wand goldfarben streichen, so viele Pflanzen in mein Arbeitszimmer stellen, wie ich wollte.
Ich kann Freund:innen einladen, wann immer ich will, und das Wohnzimmer oder den Balkon frei nutzen. Wenn ich um ein Uhr nachts auf die Idee komme, eine Küchenparty zu starten, kann ich um ein Uhr nachts eine Küchenparty starten. Ohne mir dabei Sorgen zu machen, jemanden zu wecken (außer vielleicht meine Nachbar:innen).
Bei Konflikten haben mein Freund und ich die Möglichkeit, auf Abstand zu gehen und die Gefühle setzen zu lassen, bevor wir mit klareren Gedanken wieder aufeinander zugehen können. Und klar, die Diskussion darüber, wer den Müll rausbringt, entfällt ebenfalls.
Wir haben Phasen, in denen wir einander vermissen und Dates, auf die wir uns freuen. Die Zeit, die wir miteinander verbringen, gestalten wir bewusst, und sie ist im Living Apart Together nicht geprägt von organisatorischen Fragen.
Weniger “Zeit allein zu zweit”, erhöhte Kosten, konkrete Planungen…
Andererseits entfällt die „Zeit zu zweit für sich“ fast gänzlich. Wir verbringen nur wenig Zeit nebeneinander am Handy, beim Lesen oder am Arbeiten. Oder eben bei gemeinsamen Hausarbeiten.
Auch wenn immer wieder kritisiert wird, wie Paare gemeinsam im Bett liegen und beide an ihrem Handy sind, ist dies ein gesunder Teil einer Beziehung. Solange man weiterhin ausreichend Gespräche miteinander führt, können auch diese Momente für Verbundenheit sorgen.
Ob die Wohnung sauber gehalten wird, liegt an mir, also nur an mir. Das kann sowohl mit erhöhtem Aufwand als auch erhöhten Kosten verbunden sein.
Living Apart Together erfordert auch andere Absprachen treffen und unter Umständen konkretere Planungen. Ein zehnminütiger Spaziergang ist kein zehnminütiger Spaziergang mehr, wenn die eine Person erst zwanzig Minuten zur anderen läuft.
Und ja, hin und wieder kommt es vor, dass wir so von verschiedenen Verpflichtungen und Terminen eingenommen sind, dass wir uns eine ganze Woche lang gar nicht sehen. Im Extremfall kann das dazu führen, dass man sich auseinanderlebt.
Erzähl mir von deinen Abenteuern, Schatz.
Doch es kann auch dazu führen, dass man sich mehr zu erzählen hat. Wenn man nicht alles miteinander teilt, haben wir die Chance aufregende Dinge ohne den anderen zu erleben, und dem anderen anschließend ganz genau zu beschreiben, wie wir diese riesige Rutschbahn hinunter gerutscht sind. Er war ja schließlich nicht dabei.
Und, was vielleicht am Wichtigsten ist, wir lernen, uns um uns selbst zu kümmern. Wir lernen, was wir unabhängig voneinander wollen. Und wer wir ohne den anderen sind.
Eines der absoluten Highlights in meinem Alltag ist es, morgens ungestört am Frühstückstisch zu sitzen, meinen Kaffee zu trinken und meinen Gedanken hinterherzuhängen. Es ist unglaublich, wie erleichternd es ist, wenn man nicht dauernd damit rechnen muss, dass jemand zur Tür reinkommt.
Was willst du, wirklich?
Wenn wir unsere Bedürfnisse unabhängig von der anderen Person kennen, können wir authentischer aufeinander zugehen. Auch die Kommunikation kann von unserer gesteigerten Eigenverantwortung profitieren. Wir sind ehrlicher mit uns und unseren Wünschen und können in der Folge ehrlicher miteinander sein.
Genau das ist auch die Voraussetzung, dass Living Apart Together funktioniert. Damit getrennte Wohnungen förderlich für eine Beziehung sind, müssen beide damit einverstanden sein. Es gehören regelmäßige, ehrliche Gespräche dazu und das Bewusstsein darüber, dass sich Bedürfnisse ändern können. Nur weil es jetzt die richtige Lebensform für euch ist, heißt das nicht, dass sie es noch in zehn Jahren ist.
Feste Termine, an denen ihr euch regelmäßig Zeit füreinander nehmt, halte ich ebenfalls für sehr empfehlenswert. Das klappt vielleicht nicht immer, aber es gibt euch immer wieder Orientierung und eine Erinnerung daran, genug Zeit für die Partnerschaft einzuräumen. Teilt eurem Umfeld mit, dass ihr euch bewusst dazu entschieden habt, und dieses eure Entscheidung bitte akzeptieren soll. Vergesst nicht, auch Zeit zu zweit alleine einzuplanen. Mein Freund und ich haben zum Beispiel angefangen, uns regelmäßig zum Coworking zu treffen. Bei kleineren Urlauben haben wir viel Zeit für unsere Beziehung und um uns über die Themen auszutauschen, die uns gerade beschäftigen. Vielleicht wird unter diesen Themen irgendwann der Wunsch sein, nun doch zusammenzuziehen. Dann aber nicht, weil andere es uns sagen. Sondern weil er und ich es wollen.
Mehr als ein “Happy End”
Living Apart Together ist also ein Beziehungsmodell für alle Paare, die ihre Unabhängigkeit ein Stück weit behalten wollen. Für Menschen, die viel Zeit für sich brauchen oder die Zeit mit dem Partner bzw. der Partnerin bewusst verbringen wollen. Der wichtigste Aspekt meiner Ansicht nach ist, dass wir durch die getrennten Wohnungen leichter lernen können, wer wir ohne den anderen sind. Wir können herausfinden, was für uns wichtig ist, und auf diese Weise authentisch und achtsam aufeinander zugehen.
„Living Apart Together“ ist nur eine von vielen alternativen Beziehungs- und Wohnformen. Ich kenne Paare, die jahrelang eine Fernbeziehung geführt haben und dann von einem auf den anderen Tag zusammengezogen sind. Paare, die seit Jahren eine erfolgreiche offene Beziehung führen. Paare, die jeweils eigene Kinder mit in die Beziehung gebracht haben. Oder Paare, die zwanzig Jahre Altersunterschied haben. All diese Paare sind glücklich. Und vermutlich gibt es auch Menschen, die in sich in einer Situationship tatsächlich wohl fühlen.
Wichtig ist nur, dass wir für uns herausfinden, was zu uns passt. Glückliche Paare sind nicht glücklich, weil ihre persönliche Hollywood-Romanze leben. Sondern weil sie das eben nicht tun. Wir dürfen unser eigenes Happy End schreiben.
2 Kommentare
interesting article and good to know about this other type of a relationship too.
So happy to hear that, thank you!